Menschen mit komplexen neurologischen Erkrankungen, wie Schlaganfall, amyotrophe Lateralsklerose (ALS) oder multipler Sklerose (MS) benötigen qualitativ hochwertige und effiziente Versorgungssettings. Um sich flexibel den dynamisch entwickelnden Bedarfen anzupassen, ist ein intensiver Austausch zwischen Patient*innen, Angehörigen und Freunden sowie den am Versorgungsprozess beteiligten Dienstleistern nötig. So erfordern körperliche, kognitive und psychische Einschränkungen, die sich im Krankheitsverlauf ständig verändern können, eine kontinuierliche Anpassung der Hilfs- und Heilmittel, der benötigten Medikamente sowie von therapeutischen Angeboten und haushaltsnahen Dienstleistungen. Da dieser Versorgungsmix nicht von einem einzigen Anbieter allein erbracht werden kann, trägt auch die Interaktion der einzelnen Dienstleister entscheidend zur Versorgungsqualität bei. Es bedarf einer interdisziplinären Zusammenarbeit verschiedener Fachkräfte, die sich mit den Patient*innen und den Angehörigen, aber auch untereinander austauschen müssen, um Fehl- oder Doppelversorgung zu vermeiden sowie Transparenz zu Versorgungszielen und -verläufen sicherzustellen. Bis dato gelingt es jedoch kaum, eine Versorgung »aus einer Hand« zu organisieren. Komplexe versorgungsrechtliche Rahmenbedingungen wie Datenschutzanforderungen sowie eine Vielzahl von Kostenträgern, mit jeweils eigenen Regelungen, erschweren die Interaktion im Versorgungssetting zwischen Dienstleistern und Patient*in zudem. Der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnik (IuK) - und insbesondere Plattformlösungen im Versorgungsmanagement für neurologische Patient*innen - ist in der Fläche längst noch nicht ausgeschöpft. Die Entwicklung tragfähiger Geschäftsmodelle für den Einsatz von Plattformen, das Herausarbeiten klarer Nutzenversprechen gegenüber Patient*innen sowie den beteiligten Dienstleistern, und die Integration des Umgangs mit den technischen Lösungen in die Aus- und Weiterbildungsangebote gilt es somit weiterzuentwickeln.
Das BMBF-geförderte Verbundprojekt »Versorgungsprozesse digital unterstützen für die Gestaltung guter Interaktionsarbeit - ProDigA« setzt mit seinen vier Praxis- und zwei Forschungspartnern bei den beschriebenen Herausforderungen an.Dies soll die Interaktionsarbeit in der häuslichen Versorgung von Patient*innen mit neurologischen Krankheiten nachhaltig durch die Konzeption und pilothafte Entwicklung von Plattformlösungen und angemessener vernetzter Geschäftsmodelle verbessern. Das Fraunhofer IAO ist hierbei für die Anforderungsanalyse im Versorgungssetting und die Geschäftsmodellentwicklung verantwortlich. Dabei werden etablierte Modelle und Methoden wie der Business Model Canvas oder das Value Proposition Design angepasst und für die Gestaltung von Interaktionsarbeit genutzt. Bereits am Fraunhofer IAO entwickelte Online-Tools zur Erfassung und Optimierung von Geschäftsmodellen werden dabei im Projekt gemeinsam mit den ProDigA-Partnern genutzt und weiterentwickelt.
Als Ergebnis der Anforderungsanalyse wurden die Interaktionsbeziehungen in komplexen Settings der Versorgung neurologischer Patient*innen zu Akteursprofilen verdichtet und so das Versorgungssystem als Grundlage der weiteren Gestaltung von Geschäftsmodellen und Plattformlösungen aufbereitet. Außerdem wurde die Prozessmodellierung gemeinsam mit den Partnern genutzt, um IST- und SOLL-Prozesse detailliert abzubilden und so die pilothafte Systemgestaltung zu unterstützen.